Anonym

Am 2. August (SSW 39+0) schreibe ich noch in meinen Schwangerschaftskalender auf der Seite „40. Woche“ und zeige meinem Mann lachend, dass auf der nächsten Seite schon steht: „Ihr Baby ist da!“ Noch wissen wir nicht, dass wir am nächsten Tag tatsächlich unser Baby bekommen!
Nach dem Mittagessen rebelliert mein Magen. Ich frage mich, ob ich zuviel gegessen habe. Nach einer Stunde legen sich die Magenschmerzen zum Glück wieder und ich mache ein kleines Schläfchen, während mein Mann sich um unseren Sohn kümmert.
Ab 16:00 bin ich im Geburtsvorbereitungskurs und merke währenddessen, dass meine üblichen Vorwehen sich etwas stärker anfühlen als sonst. Am Ende bekomme ich noch ein paar Akupunkturnadeln wie auch bei den vorigen Malen.
Als ich um 22:00 zuhause aufs WC gehe, bemerke ich blutigen Schleim auf dem WC-Papier. Hm, wird es tatsächlich bald losgehen? Zur Sicherheit beschließe ich, bald schlafen zu gehen, sage vorher noch meiner Hebamme Patricia Bescheid, dass sich evtl. etwas anbahnt, und erkundige mich, ob ihre anderen Schwangeren schon geboren haben. Sie freut sich und schreibt, dass eine noch übrig ist, aber alles ruhig wäre.
Die Kleine ist sooo aktiv im Bauch, dass ich überhaupt keinen Schlaf finde. Sie turnt und turnt. Ab und zu bemerke ich die stärker werdenden Vorwehen, vielleicht zwei- oder dreimal in der Stunde.
Um 1:00 verändern sich die Abstände ganz plötzlich, die Wehen kommen jetzt alle 3-5 Minuten. Sie sind noch nicht stark, aber im Liegen unangenehm. Schlafen kann ich sowieso nicht, also stehe ich auf. Mein Mann ist vor dem Fernseher auf der Couch eingeschlafen. Ich sage ihm Bescheid, er ist gleich aufgeregt. Grinsend frage ich ihn, ob er jetzt vorhat, schreiend im Kreis zu laufen. Aber er beruhigt sich schnell wieder. Wir überlegen, wann wir seine Eltern anrufen sollen, die bei Bedarf unseren Sohn abholen werden, sind uns aber noch nicht sicher. Ich weiß ja nicht, ob die Wehen nicht doch wieder aufhören, kommt ja vor. Wir bereiten im Wohnzimmer alles vor, falls es wirklich losgeht. Die Couch wird abgedeckt, der Geburtspool aufgestellt, Musik gemacht und Kerzen angezündet. Die Wehenabstände bleiben kurz. Um 3:00 bin ich mir sicher, dass es Geburtswehen sind. Ich muss sie jetzt veratmen, sie werden definitiv stärker. Der Muttermund ist aber noch kaum eröffnet. Ich untersuche mich selber, komme fast nicht hin, aber spüre noch einen langen Gebärmutterhals und einen weichen, 1cm offenen äußeren Muttermund. Wir freuen uns auf unser Baby!
Um 3:15 kommt meine Schwester an. Sie möchte bei der Geburt dabei sein und wird Fotos machen, weil ich diesmal gerne mehr als die Handvoll Fotos zur Erinnerung hätte, die es von der Geburt unseres Sohnes gibt.
Um 3:20 rufe ich meine Hebamme an – ich brauche sie noch nicht unbedingt hier, will sie aber informieren. Außerdem kann es beim zweiten Kind ja auch recht schnell gehen (an dieser Stelle kann ich jetzt im Nachhinein nur lachen). Sie erzählt uns, dass die andere Schwangere, auch zweitgebärend, sie vor kurzem über unregelmäßige Wehen informiert hat. Puh, damit haben wir nicht gerechnet. Wir beschließen, noch eine halbe Stunde abzuwarten und dann nochmal zu telefonieren, wie es aussieht. In der Zwischenzeit soll ich Bettina, meine Hebamme aus dem Geburtsvorbereitungskurs informieren, die uns vor einigen Wochen angeboten hat, als Ersatzhebamme zur Verfügung zu stehen, falls Patricia verhindert wäre. Wir haben damals dankend angenommen, aber nicht wirklich damit gerechnet, dass es tatsächlich so kommt!
Ich sage ihr also Bescheid, dass Patricia evtl. zu einer anderen Geburt muss und ob sie Zeit für uns hätte. Sie sagt zum Glück sofort zu, dass sie bei Bedarf kommen kann und wir vereinbaren, etwas später nochmals zu telefonieren. In dem ganzen Hebammenschlamassel werden die Wehenpausen gleich mal länger.
Mein Mann bittet seine Eltern, in der Früh unseren Sohn abzuholen. Sie haben fast 1,5 Stunden Fahrtweg und werden sich rechtzeitig auf den Weg machen. Bis jetzt hat er alles verschlafen.
Kurz vor 4 ruft Patricia nochmal an – sie ist jetzt auf dem Weg nach Wien zu der anderen Schwangeren, die gerade einen Blasensprung hatte. Also rufen wir nochmal Bettina an, die sich gleich auf den Weg machen will. Besonders mein Mann ist froh, dass sie Zeit hat!
Um 4:20 schreibt mir Patricia, dass das Baby in Wien schon geboren ist, nur Minuten nach ihrer Ankunft! Wir staunen über die schnelle Geburt. Fast gleichzeitig kommt Bettina an, mit einem Marillenkuchen im Gepäck. Ich schreibe Patricia, dass sie sich nicht zu beeilen braucht und ruhig noch auf die Plazenta warten kann, anstatt eine Wiener Kollegin dafür anzurufen.
Ich wehe vor mich hin, aber es ist noch gut auszuhalten. Nur liegen ist nicht angenehm. In den Wehenpausen reden und lachen wir, essen Bettinas „Geburtstagskuchen“ und es herrscht eine tolle Atmosphäre voller Vorfreude.
Die Wehen werden kontinuierlich stärker. Kurz vor 6 kommt Patricia bei uns an und nach ihr die Schwiegereltern. Ich wecke unseren Sohn auf - er sagt bester Laune „Guten Morgen!“, obwohl er normalerweise ein Langschläfer ist. Ich erzähle ihm, dass unser Baby heute auf die Welt kommt und Oma und Opa da sind, um ihn abzuholen. Er sagt kaum was und ist sichtlich aufgeregt. Wir versprechen, ihm Bescheid zu sagen, sobald seine Schwester geboren ist und verabschieden uns. Währenddessen habe ich keine einzige Wehe, die Gebärmutter macht Pause. Erst als alle wieder aus dem Haus sind, kommen die Wehen wieder. Auch Bettina verabschiedet sich.
Draußen wird es hell, aber ich will das Licht nicht hereinlassen. Ich habe es lieber kuschelig und dunkel. Wir befinden uns mitten in einer Hitzewelle und heute soll es besonders heiß werden. Davon bekommen wir drinnen zum Glück wenig mit.
Obwohl die Wehen nach wie vor kräftig sind, werden die Abstände etwas später nach und nach wieder länger. Um halb 8 kann ich sogar kurz auf der Couch einschlafen, bis ich wieder von einer Wehe geweckt werde und schnell aufspringe, weil ich sie im Liegen nicht gut aushalte.
Ca. um halb 10 fährt Patricia zu einem Hausbesuch, da die Abstände immer noch lang sind. Ich wundere mich, warum es nicht weitergeht. Ich trinke genug, esse zwischendurch, fühle mich nicht energielos. Der Muttermund ist 3cm offen. Irgendwie habe ich nicht damit gerechnet, dass unser zweites Kind so lange braucht. Unser Sohn ist in ca. 8 Stunden geschlüpft, und jetzt habe ich schon 7 Stunden Wehen, die ich veratmen muss, die Geburt scheint aber noch lange nicht bevorzustehen.
Na gut, dann versuche ich mich eben wieder auszuruhen. Die Wehen sind intensiv und lang, aber die Pausen dazwischen sind viel länger.
Ca. um 11:00 stehe ich wieder auf und endlich scheint die Geburt wieder an Tempo zuzulegen. Die Abstände verkürzen sich auf 5min oder weniger. Patricia kommt bald wieder von ihrem Hausbesuch zurück. Endlich tut sich wieder etwas!
Um 12:15 spüre ich während einer Wehe plötzlich einen kleinen Ruck im Becken und unmittelbar danach ist die Wehe und der Druck noch viel intensiver. Es fühlt sich an, als hätte sich der Kopf plötzlich mit einem „Klack“ ins Becken gedreht. Huch, jetzt wird es richtig herausfordernd. Ich bin schon ziemlich laut während der Wehen und will jetzt die Chili-Pflaster ausprobieren, die ich mir besorgt habe, nachdem ich einen interessanten Artikel darüber gelesen habe. Eine dänische Hebamme hat gute Erfahrungen damit zur Schmerzlinderung während der Geburt. Es ist auch ganz angenehm, wie heiß es sich nach einer Weile im Kreuz und Unterbauch anfühlt, aber bald werden die Wehen so stark, dass ich keinen Unterschied mehr bemerke.
Plötzlich halte ich es nicht mehr aus, wenn meine Schwester mir fest aufs Kreuzbein drückt, was vorher richtig gut getan hat. Wenige Minuten später platzt die Fruchtblase, es kommt nur wenig Fruchtwasser.
Um 12:30 untersucht Patricia den Muttermund. Er ist 5cm offen, der Kopf ist schon recht tief. Ich will jetzt ins Wasser. Bisher wollte ich nicht, weil ich befürchtet habe, dass die Wehenpausen sich dann wieder verlängern. Jetzt brauche ich irgendwas, das mir Erleichterung bringt. Das warme Wasser ist angenehm, aber es wird zunehmend schwerer, eine gute Position zu finden. Kniend und die Hände meines Mannes umklammernd geht es noch am besten.
Um 13:45 spüre ich schon einen heftigen Druck, es fühlt sich an als würde das Köpfchen mit aller Macht auf den Muttermund drücken. Um 14:00 ist der Muttermund 7-8cm offen.
Ich bin wieder aus dem Pool gestiegen und versuche an Land eine aushaltbare Position zu finden. Mir ist furchtbar kalt und ich zittere trotz Bademantel schrecklich. Ich stehe am Klavier, sitze auf dem WC, lehne mich kniend auf die Couch, während Patricia mit dem Rebozo mein Becken schüttelt, ich hocke, ich sitze seitlich angelehnt auf der Matte. Nichts bringt mehr Erleichterung, jede Wehe bringt mich an meine Grenzen. Ich denke an das Krankenhaus, an eine PDA. Aber wie soll ich den Weg dorthin überstehen? Man müsste mich beamen.
Manchmal spüre ich am Ende der Wehe, wie mein Körper beginnt, mitzuschieben. Das macht mir Hoffnung, aber immer noch ist der Muttermund im Weg. Ich halte keine Wehe aus, ohne mich mit aller Kraft an die Hände meines Mannes zu klammern. Fast bekomme ich Panik, wenn die Wehe beginnt und er gerade nicht in Reichweite ist.
Ich versuche um 14:30 wieder ein paar Wehen im Wasser zu überstehen und taste dazwischen nach dem Muttermund. Immer noch diese 7-8cm. Ich wünsche mir so, dass er schnell aufgeht, ich kann einfach nicht mehr. Es drückt so heftig auf den Muttermund, dass ich glaube, mein Becken explodiert. Ich steige wieder aus dem Pool. Patricia schlägt Knie-Ellenbogenlage vor, um den Druck wegzunehmen, aber ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass ich das schaffe. Irgendwie lande ich wieder zitternd und stehend am Klavier und da überrollt mich die furchtbarste Wehe von allen, die ich nicht mehr verarbeiten kann, sondern nur noch weg will. Auf einen anderen Planeten. Kurz glaube ich, ich überlebe das nicht. Patricia, meine Schwester und mein Mann sind alle ganz nah bei mir und versuchen mir zu helfen, ich sehe die Angst in den Augen meines Mannes. Die Wehe ist endlich vorbei und er fragt, ob wir über eine Exit-Strategie reden können, ob wir nicht ins Krankenhaus fahren sollten. Ich falle ihm ins Wort, bevor die nächste Wehe anrollt und keuche, dass sich das nach Übergangsphase anfühlt, dass es wahrscheinlich nicht mehr lange dauert, dass der Druck schon so stark ist. In dem Moment bin ich dankbar für die hundertfache Erfahrung als Hebamme, dass ich weiß, es ist ein gutes Zeichen, wenn ich glaube, ich bin am Tiefpunkt. So habe ich ein Fünkchen Hoffnung, anstatt völlig zu verzweifeln. Ich weiß zwar nicht, wie ich die nächsten Wehen überstehen soll, aber ich weiß, es geht vorwärts. Dann kommt schon die nächste Wehe und ich kämpfe darum, sie irgendwie auszuhalten. Danach schlägt Patricia Seitenlage vor und tatsächlich sind die nächsten Wehen so etwas besser zu ertragen, während sie meine Beine bewegt und lockert. Der Pressdrang wird immer stärker, manchmal schiebt mein Körper schon mit aller Kraft nach unten, während die Wehe tobt. Es dauert nur wenige Minuten, dann sind es ganz eindeutig Presswehen. Ich lande kniend auf der Matte und es ist genau wie bei meiner ersten Geburt – kaum haben die Presswehen begonnen, kann ich dazwischen kaum mehr atmen, weil der Druck so groß ist und ich nicht mehr unterscheiden kann, was Wehe und was Pause ist. Der ganze Körper schreit nur mehr „Schiiieb!“ und mein „Löwengebrüll“, wie mein Mann es nennt, ist das gleiche wie damals. Die Wehen bleiben kaum
aushaltbar, aber ich weiß jetzt, es dauert nicht mehr lange. Ich taste nach dem Babyköpfchen, es ist schon fast am Beckenboden angekommen. „Sie kommt!“, sage ich und will wieder ins Wasser, also schnell in den Pool und wieder ins Knien. Dort schaffe ich es zumindest manchmal, durchzuatmen anstatt pausenlos mitzuschieben. Es spannt und drückt furchtbar, ich würde mir gerne mehr Zeit lassen, aber es geht nicht. Sie bahnt sich unaufhaltsam ihren Weg und ich denke mir, vielleicht wäre es nicht so schmerzhaft, wenn es jetzt plötzlich nicht so schnell gehen würde. Egal, sie kommt. Endlich! „Sie hat lange Haare!“, sage ich, als ich spüre, dass das Köpfchen schon fast geboren ist. Ich bin so froh, es ist gleich geschafft. Mein Mann auch, er ist so erleichtert. Später wird er sagen, das war mein schönster Satz während der ganzen Geburt.
Bei der nächsten Wehe wird der Kopf in meine Hand geboren – extreme Spannung und dann Erleichterung. Ich spüre ihre weichen Wangen und die langen Haare. Wehenpause, wie angenehm. Gleich haben wir es geschafft. Dann rollt die letzte Wehe an, der Pressdrang kommt wieder und ich warte darauf, dass der Babykopf sich dreht und die Schultern kommen, aber nichts von beidem passiert. Sie will wohl ohne Drehung raus, es drückt unglaublich. Ich stelle erst ein Bein auf, dann doch das andere, helfe mit den Händen nach und endlich, endlich, kommt sie mit eigenartig verschränkten Armen aus mir heraus, irgendwie sind die Ellenbogen im Weg, es tut nochmal richtig weh! Aber da ist sie. Unbändige Freude! Ich hole sie aus dem Wasser auf meinen Bauch – oder Unterbauch, wieder so eine kurze Nabelschnur! Nur ein bisschen länger als bei ihrem Bruder damals. Sie spuckt und gurgelt, ihr Kopf ist blau, sie kommt mir winzig vor. Dann schreit sie, es geht ihr blendend. Mir jetzt auch, und meinem Mann. Die Freudentränen fließen in Strömen. Ich habs geschafft! Um 15:04, ganze 14 Stunden seit Wehenbeginn oder 12 Stunden, wenn man ab dem Zeitpunkt rechnet, wo ich die Wehen bereits veratmen musste.
Wir bleiben nicht lange im Wasser – bei der kurzen Nabelschnur muss ich ständig aufpassen, dass ihr Mund über der Wasseroberfläche bleibt. Stattdessen machen wir es uns auf der Couch gemütlich und genießen, bis die heftigen Nachwehen mir unmissverständlich deutlich machen, dass die Geburt noch nicht vorbei ist. Ich muss atmen und tönen und habe doch überhaupt keine Lust mehr auf Wehen! Bei der dritten unbarmherzigen Nachwehe flutscht die Plazenta 20 Minuten nach der Geburt aus mir heraus und himmlische Erleichterung macht sich breit. Endlich schmerzfrei. Also, bis auf das übliche Brennen nach der unglaublichen Dehnung. Patricia schaut nach, ob ich eine Verletzung habe, aber zum Glück ist alles heil geblieben, juhu. Obwohl die Kleine soviel Platz für ihre Arme gebraucht hat. Jetzt können wir richtig anfangen, zu genießen. Mein Mann schneidet die Nabelschnur durch, unser Baby sucht schon bald die Brust, dockt an und lässt lange Zeit nicht mehr los.
Irgendwann wollen wir unseren Sohn wieder zuhause haben, ich vermisse ihn schon. Wir beschließen kurzerhand, dass unsere Eltern, die gerade auf ihn aufpassen, alle kurz vorbeikommen und das neue Familienmitglied begrüßen dürfen. Auch mein Bruder kommt später noch vorbei.
Unser Sohn kommt nachhause und bestaunt das Baby. Er darf beim Messen und Wiegen helfen. 2780g, 48cm und 35cm Kopfumfang – eine zarte Maus wie erwartet. Alle staunen über ihre dunklen Haare, auch ich. Irgendwie habe ich erwartet, dass sie blond ist wie ihr Bruder. Aber so wie ihre Geburt ganz anders war, sieht sie auch anders aus. Bald verabschieden sich alle und wir bleiben zu viert zurück. Es fühlt sich toll an.
Am Abend liegen wir alle im Schlafzimmer und bald bin ich von ruhigen Atemzügen umgeben. Alle schlafen schnell ein, nur ich nicht. Die Geburtshormone haben mich noch fest im Griff, ich bin hellwach und bewundere unser neues Baby. Immer wieder denke ich an einzelne Momente während der Geburt, die herausfordernder war als gedacht. Aber ich weiß schon jetzt: Es hat sich ausgezahlt.